Jährlich im Herbst rufen Kirchen unterschiedlicher Konfessionen weltweit zur Aktion „Schöpfungszeit“ auf. Botschafter der Initiative in Deutschland ist Dr. Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. Die Schöpfungszeit vom 1. September bis 4. Oktober widme sich nicht nur der Klimakrise und anderen ökologischen Herausforderungen, sagt Latzel. Die Aktion gehe auch den Fragen nach: „Worauf kommt es an, woraus lebe ich, was schenkt mir Sinn, Glück und Zufriedenheit?“
Was steckt hinter dem Begriff „Schöpfungszeit“?
Dr. Thorsten Latzel: Die Schöpfungszeit ist ein schönes gemeinsames ökumenisches Projekt. Es ist kein neuer Begriff. Die Schöpfungszeit stammt aus der christlich-orthodoxen Kirchentradition, wo das Kirchenjahr mit dem 1. September als Tag der Schöpfung beginnt. Die Bewahrung von Gottes Schöpfung spielt in den verschiedenen Konfessionen weltweit eine große Rolle. Um das zusammenzubinden, hat die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung im Jahr 2007 im rumänischen Sibiu (Hermannstadt) die Schöpfungszeit ins Leben gerufen. Sie verbindet die orthodoxe Kirchentradition mit dem evangelischen Erntedankfest und dem römisch-katholischen Gedenktag für den Umweltheiligen Franz von Assisi am 4. Oktober.
Wie unterscheidet sich die Schöpfungszeit vom traditionellen Erntedankfest?
Latzel: Die Schöpfungszeit bietet uns eine längere Zeit der Einkehr und Besinnung. Zwei Aspekte stehen dabei im Zentrum, die aktueller sind denn je. Zum einen können wir Gott für das Geschenk der Schöpfung danken und bescheiden, demütig über unseren Platz darin nachdenken. Zum anderen geht es um Umkehr, um die Möglichkeit, unser Leben neu auszurichten. Es ist wertvoll, dass wir nicht nur einen Tag, sondern eine längere Zeit haben, um uns mit den drängenden ökologischen Fragen unserer Zeit zu befassen.
Welchen Platz hat Erntedank in der Schöpfungszeit?
Latzel: Erntedank bleibt natürlich weiter unser fester, im Kirchenjahr vorgesehener Tag des Schöpfungsdankes. Das Fest spielt gerade in den ländlichen Gegenden eine große Rolle, hat aber auch in Städten eine wichtige Bedeutung. An Erntedank erinnern wir uns daran, dass unser Leben ein Geschenk ist, dass es nicht selbstverständlich ist, Essen zu haben. Ähnlich wie Ostern und Weihnachten ihre Vorbereitungszeiten haben, bekommt nun auch Erntedank mit der Schöpfungszeit eine längere Vorbereitungs-Phase der Besinnung. Dadurch wird Erntedank aufgewertet und gewinnt an Tiefe und Bedeutung.
Wie wird die Schöpfungszeit in den Kirchen begangen?
Latzel: Die Schöpfungszeit vom 1. September bis Anfang Oktober fällt in die Erntezeit. In diesen Wochen finden Gottesdienste und viele Veranstaltungen in den Gemeinden statt. Was heißt es, genug zu haben? Wie leben wir gerecht und nicht auf Kosten anderer Geschöpfe, Generationen oder Weltgegenden? Wie kommen wir unserem Auftrag nach, „Erstgeborene“ einer neuen Schöpfung zu sein? Die Zukunft der Erde macht vielen Menschen zurecht Angst. Hier kann der Glaube neue Perspektiven von Hoffnung und Umkehr vermitteln.
Wie sehen die kirchlichen Angebote zur Schöpfungszeit aus?
Latzel: Neben einem Kalender und Materialien gibt es eine ganze Reihe von unterschiedlichen Aktionen: Bäume pflanzen, Umweltpädagogik, ökologische Projekte. Ich selbst werde im nordrhein-westfälischen Wermelskirchen am Anfang der Schöpfungszeit an einem Walderlebnistag mitwirken können. Es wird Radtouren in den Gemeinden geben oder etwa einen ökumenischen Schöpfungstag am 20. September in Düsseldorf. Die evangelischen, orthodoxen und katholischen Kirchen laden zu einer großen Bandbreite von Angeboten ein.
Welche Rolle spielt die Klimakrise in der Schöpfungszeit?
Latzel: Der Klimaschutz ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit, eine wirkliche Menschheitsaufgabe. Dazu kommen Fragen wie Artensterben, die Vermüllung der Ozeane, das Recht auf Wasser sowie eine gesunde Lebensumwelt. Das alles werden wir nicht allein durch Technik lösen können. Wir brauchen eine andere Form zu arbeiten, zu reisen, zu konsumieren, zu leben. Das fußt letzten Endes auf einem anderen Verständnis unseres eigenen Lebens. Worauf kommt es an, woraus lebe ich, was schenkt mir Sinn, Glück und Zufriedenheit? Genau diese geistlichen Fragen greifen wir auf. Dafür bietet die Schöpfungszeit gute Möglichkeiten.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat sich aus der bislang zusammen mit der katholischen Kirche veranstalteten „Woche für das Leben“ zurückgezogen. Die Initiative stellt bioethische Fragen und den Lebensschutz in den Fokus. Werden diese Themen auch in der Schöpfungszeit eine Rolle spielen?
Latzel: Bioethische Fragen sind weiter zentral für uns. Und wir werden auch zukünftig ökumenische Perspektiven auf die Grenzen des Lebens austauschen und uns gemeinsam dazu äußern. Bei der „Woche für das Leben“ geht es um die Frage nach dem Menschen. Die Schöpfungszeit lädt aber gerade dazu ein, über die gesamte Schöpfung nachzudenken. Dabei richten wir den Blick auf Tiere, Pflanzen und die ganze Weite der Schöpfung, die wir viel zu oft übersehen, auch in unserer Theologie. Bioethische Fragen stehen in dieser Zeit nicht im Mittelpunkt. Die „Woche für das Leben“ bleibt weiterhin wichtig und wird auch in Zukunft bei uns gepflegt.