Dagmar Wolsing, Leiterin der Stabsstelle Klima.Gerecht.2035, über unterschiedliches Tempo in den Kirchenkreisen, Hindernisse auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität und die Rolle der Finanzen.
Frau Wolsing, das erste Jahr der Stabsstelle Klima.Gerecht.2035 neigt sich dem Ende zu. Wie fällt Ihre Bilanz aus?
Dagmar Wolsing: Ich beschreibe es mal mit dem Wetter: Es gibt Sonne und Regen, Blitz und Donner. Insofern ist die ganze Fülle möglicher Erfahrungen dabei.
Wo steht der Prozess Klima.Gerecht.2035 aktuell?
Wolsing: Auf der einen Seite haben sich Kirchenkreise in wunderbarer Weise und vorbildlich auf den Weg gemacht und die ersten Kirchengemeinden sind bereits treibhausgasneutral. Auf der anderen Seite stehen Kirchenkreise, die aus unterschiedlichsten Gründen mit der Umsetzung noch gar nicht begonnen haben. Manche Fragen, auch lückenhafte Antworten unsererseits und Herausforderungen werden erst in den Mühen der Ebene sichtbar.
Was sind derzeit die größten Hindernisse?
Wolsing: In letzter Konsequenz die Ressourcen. Und damit meine ich sowohl die Menschen als auch das Geld. Es ist eine Fülle an Arbeit erforderlich, um Daten zu generieren, Entscheidungen zu treffen oder sich auch nur umfassend zu informieren. Das gilt für ehrenamtlich wie beruflich Mitarbeitende und muss dazu noch in einer Multiperspektive erfolgen. Denn Klimagerechtigkeit ist kein allein juristisches Thema, kein Architekten- oder theologisches Thema, auch kein Thema nur des Klimaschutzes. Sondern für die Umsetzung braucht es eine Multiperspektive von sehr vielen Fachdisziplinen. Und das müssen wir noch lernen.
Die dringlichste Aufgabe im Moment?
Wolsing: Dass alle Kirchenkreise mit der Umsetzung beginnen und auch klar haben, wie sie den Prozess aufsetzen wollen. Es gibt angesichts der Vielfalt der Standorte in den einzelnen Kirchenkreisen nicht den einen idealen Weg. Aber wichtig ist die Entscheidung, wer vor Ort zum Kernteam gehört, damit auch wir in der Stabsstelle klare Ansprechpartner*innen haben.
Was benötigen Gemeinden und Kirchenkreise an Unterstützung?
Wolsing: Zum einen Prozessunterstützung. Es geht ja nicht nur um Gebäude, sondern faktisch um die Zukunft jeder einzelnen Kirchengemeinde. Wie will ich inhaltlich im Jahr 2035 Kirche sein? Was ist mein Zukunftsbild? Dann braucht es Hilfe bei der Frage der möglichen Gebäudenutzung. Sowohl die Gebäude, die aufgegeben werden, als auch viele, die im Bestand bleiben, werden künftig anders genutzt. Zum Dritten muss die Frage nach den Finanzierungsmöglichkeiten geklärt werden, um sowohl die möglichen Umnutzungen als auch die angestrebte Treibhausgasneutralität umsetzen zu können.
Ist Klimaschutz in erster Linie eine Frage des Geldes?
Wolsing: Ausdrücklich nein! Aus der langjährigen Praxis lässt sich sagen, dass ungefähr die Hälfte der Maßnahmen, die denkbar sind, mit kleinen Investitionen oder auch nur einem veränderten Nutzerverhalten realisiert werden können. Konkret gilt im Bereich Effizienz sowohl bei Wärme als auch bei Strom, dass Sparen auch mit sehr kleinen wirtschaftlichen Mitteln möglich ist. Damit habe ich zwar noch nicht die Hälfte der Ziele erreicht, aber auf der Basis können knappe Finanzmittel sehr zielgerichtet für die treibhausgasneutrale Ertüchtigung der Gebäude eingesetzt werden. Denn darauf bezieht sich ja der aktuelle Beschluss .
Nach Ihrer Wahrnehmung: Ist die Dringlichkeit des Themas Klimaschutz wieder zurückgedrängt worden?
Wolsing: Bei den Menschen, mit denen ich zu tun habe, und zwar auf allen Ebenen, ist das nicht so. Sie haben sehr gut verstanden, wie relevant das Thema ist und dass Warten die Dinge nur verteuert. Wenn ich mich heute nicht in Richtung Energieeffizienz bewege, zahle ich morgen überflüssigerweise viel Geld für Energie. Sehr viele Investitionen rechnen sich auch in Geld und nicht nur klimapolitisch. Aber natürlich sind wir ein Abbild der Gesellschaft und aufgrund unserer presbyterial-synodalen Ordnung können einzelne Personen Prozesse auch blockieren.
Sie haben erste treibhausgasneutrale Gemeinden erwähnt. Wo zeigen sich sonst noch Erfolge?
Wolsing: Zum Beispiel in übergreifender Zusammenarbeit wie im Kirchenkreis Mettmann, wo der Aufbau eines Kompetenzzentrums für Immobilienmanagement im Gang ist. Und überall dort, wo sich Menschen über ihre eigentlichen Berufsgruppen hinaus vernetzen und die Schwarmintelligenz nutzen.
In der EKiR.info-Sonderausgabe war vor einem Jahr die These zu lesen, dass bis 2029 bei etwa 30 Prozent der verbliebenen Gebäude die Treibhausgasneutralität erreicht sein könnte. Ist das weiter realistisch?
Wolsing: Wenn wir das machen, was möglich ist und nach meinem Verständnis auch leistbar, könnten wir mehr schaffen.
Dieser Beitrag ist der aktuellen Ausgabe des Magazins EKiR.info für die Mitglieder der Presbyterien entnommen. Das komplette Oktoberheft finden Sie zum Download hier .